Kris Scholz

Heute oder vor hundert Jahren:

Die irritierende Anti-Postkarte des Kris Scholz

Frankfurter Allgemeine Zeitung   Mittwoch, 17. November 2004

Die Stille sichtbar werden lassen – das gelingt dem Fotografen Kris Scholz mit seinem neuen Bildband „The Silent View“ (Edition Braus, Wachter Verlag, Heidelberg 2004, 120 Seiten mit 80 Abbildungen, 39,90 Euro).

Scholz zeigt Landschaftsaufnahmen, die von Weite, Einsamkeit und Verlassenheit geprägt sind: verschneite Felsformationen, ausgetrocknete Flusstäler, menschenleere Felder. In ihrem klaren Bildaufbau wirken die Fotografien zunächst traditionell, beinahe wie Postkarten, gleichzeitig versetzen sie den Betrachter aber in einen irritierenden Zustand der Orientierungslosigkeit. Wo ist das? Wann war das? Morgens oder abends? Heute oder vor hundert Jahren? Der Betrachter giert nach Informationen und Zivilisationszeichen, aber genau diese verwehren ihm Scholz’ Bilder.

Der ehemalige Schüler Bernd Bechers zeigt die Natur so sachlich-distanziert, dass eine historische Einordnung unmöglich ist. Bei den Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die einen Großteil des Bildbandes ausmachen, verstärkt Scholz den Eindruck der Zeitlosigkeit durch eine spezielle Aufnahmetechnik: Er verwendet eine Großbildkamera aus den dreißiger Jahren und entwickelt seine Fotos in einem alten Papiernegativverfahren auf Barytpapier, welches nur blaue Lichtwellen auf das Negativ wirken lässt. Dadurch entstehen eigentümliche schwarz-graue Effekte, die den Landschaften eine unwirkliche Note verleihen und zugleich ein Verkitschen verhindern.

Ein Blick in den Bildindex befriedigt am Ende die Neugier – die Entstehungszeit der Bilder reicht von 1988 bis 2004, die Aufnahmeorte sind über die ganze Welt verteilt. Die spannungsvolle Stille dieser Bilder bleibt aber auch mit diesem Wissen.